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Mineralogie

Die Geschichte der Mineralogie in Göttingen

(Sonderdruck aus GEORGIA AUGUSTA Mai 1987 von Karl Hans Wedepohl)


Die Naturforscher der Antike und des Mittelalters hatten versucht, das Tier, Pflanzen und Mineralreich beschreibend zu erfassen. Dieser Versuch blieb im Bereich der Minerale besonders unvollkommen, weil es noch nicht die Möglichkeiten der optischen Vergrößerung und der chemischen Charakterisierung gab. Der Humanist und Arzt Georgius Agricola ( 1494-1555) faßte unter Berücksichtigung der antiken Grundlagen aus Erfahrung im sächsischen Erzbergbau die Kenntnisse seiner Zeit über Bergbau und Hüttenwesen, über Minerale und Gesteine in mehreren Büchern zusammen. Unter Fossilien verstand man bis zum 18. Jahrhundert Minerale, Gesteine und Versteinerungen. Die Erze wurden als verunreinigte Metalle angesehen.

Gegen Ende des 18.Jahrhunderts wurde die genetische Erkälrung von Gesteinsverbänden möglich. Der Freiberger Mineraloge und "Geognost" Abraham Gottlob Werner (1749-1817) hatte Einfluß auf einen großen Schülerkreis, zu dem Leopold von Buch und Alexander von Humboldt gehörten. Er führte die systematische Mineralbeschreibung ein. Nach seinem auf das sächsische Erzgebirge und dessen Umgebung beschränkten Studien wollte Werner alle wesentlichen Gesteinsverbände als Ablagerungen der Meere erklären. Sein enges Beobachtungsgebiet hatte ihn sogar verführt, basaltische Vulkanite als Schmelzprodukte von Kohlebränden anzusehen. Viel treffender interpretierte etwa gleichzeitig James Hutton (1726-1797) seine gründlichen Beobachtungen an Graniten in den schottischen Gebirgen. Er wies den Weg, Bedingungen der Gesteinsbildung der geologischen Vergangenheit möglichst an Beispielen der Gegenwart zu beobachten.

Mineralogie wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Göttingen im Rahmen der Naturgeschichte, Technologie oder Chemie gelehrt, u.a. von J. Beckmann (1739-1811) und von J.E Gmelin (1748-1804). Gmelin besorgte die deutsche Ausgabe des durch seine Systematik der Pflanzen und Tiere bekannten Carl von Linne über das Mineralreich. Die Mineralsammlung der Universität war zunächst ein Teil des aus Stiftungen entstandenen Naturalienkabinetts, das 1773 einen Grundstock zum Königlichen akademischen Museum (an der Stelle eines Teils der heutigen Universitätsbibliothek) lieferte.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Mineralogie (neben derTechnologie) als eigenständiges Fach an der Universität Göttingen eingerichtet. Den ersten Lehrstuhl bekam 1811 Johann Friedrich Ludwig Hausmann , der ihn bis 1859 innehatte. Um diese Zeit stand die Anschauung an Museumsstücken für die Lehre im Mittelpunkt. Somit war es folgerichtig, daf Hausmann 1815 als Mitaufseher des von J.F. Blumenbach länger als 60 Jahre geleiteten Akademischen Museums bestellt wurde. Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Erzlagerstätten für die Gewinnung von Münz- und Gebrauchsmetallen konzentrierten sich viele Mineralogen in dieser Zeit auf das Umfeld von Bergwerken. Für Hausmanns montanistische, mineralogische und geologische Studien bot sich der Harz an, wo er in Clausthal die Bergschule gegründet hatte. Mit Reisen durch Skandinavien, Italien, Frankreich und Spanien konnte er seine gesteinskundlichen und geologischen Erfahrungen erheblich erweitern. Mangels Anschauung an magmatischen Produkten nutzte er Beobachtungen an technischen Schmelzen der Hüttenprozesse zu Vergleichen mit der Natur. An Hausmann erinnert eine Gedenktafel in der Göttinger Goetheallee Nr. 3, eine Büste in der Universitäts-Aula und das nach ihm benannte Mineral des Mn304.

Hausmanns Nachfolger wurde der 1809 in Göttingen geborene und 1876 dort verstorbene Wolfgang Sartorius Freiherr von Waltershausen. Dieser hatte seinen Vornamen nach Johann Wolfgang von Goethe bekommen, mit dem die Familie freundschaftlich verbunden war. Im Gegensatz zu Goethes intuitiv gebildetem geologischen Weltbild gründete Sartorius seine Schlüsse auf sorgfältigen geologischen und gesteinskundlichen Beobachtungen. Er sammelte seine Erfahrungen auf umfangreichen Forschungsreisen in 7 europäischen Ländern und den Alpen. Der junge Vulkanismus wurde im Hinblick auf den Erdaufbau studiert. So suchte Sartorius von Waltershausen zusammen mit seinem Freund Robert Bunsen die verschiedenartigen vulkanischen Erscheinungen in Island zu erklären. Sein Lebenswerk sind die auf jahrelangen, anstrengenden Reisen gewonnenen geodätischen, geologischen und gesteinskundlichen Ergebnisse über Aufbau und Entwicklung des Ätna.

Nach Hausmanns Tod 1859 übernahm Sartorius von Waltershausen die Leitung und damit auch die Neuordnung und Überführung der mineralogischen Sammlungen aus dem Akademischen Museum und dem Aulagebäude in das Haus des alten von Gmelin gegründeten Akademischen Laboratoriums in der Hospitalstraße 10. Die Nachbarschaft zu dem unter Wöhler inzwischen neu gebauten chemischen Laboratorium bekam Symbolwert. Sartorius begann hier unter der Anleitung von Wöhler, die in Island und Italien gesammelten Minerale quantitativ zu analysieren. Er erkannte dabei, daf die Plagioklase Mischungen des Anorthit und des Albit Moleküls sein müßten. Wöhler selbst hat mit dem Interesse der damaligen Chemiker an natürlichen Obiekten zahlreiche Analysen von Meteoriten, Mineralen und Gewässern ausgeführt und dem Museum wertvolle Meteoriten geschenkt. Am 26.2.1855 hielt Sartorius von Waltershausen am Sarge von Carl Friedrich Gauss auf der Terrasse der Sternwarte die Gedenkrede auf seinen älteren Freund, den genialen Mathematiker und Naturwissenschaftler. Für die Geschichte seines Faches repräsentiert Sartorius den Übergang von einer beschreibenden zu einer messenden Geowissenschaft.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Bedeutung der Kristallmorphologie für die Charakterisierung der Minerale gezeigt. Aus dieser Entwicklung wird verständlich, daß sich die Göttinger Universität bei der 1877 anstehenden Berufung um einen Kristallographen bemühte. Es war der Heidelberger Extraordinarius Carl Klein (geb. 1842, gest. 1907). In seinem Buch über die Kristallberechnung wies dieser auf die zukünftige Wichtigkeit der optischen Eigenschaften der Kristalle für die Mineraldiagnose hin. Der lange geplante Neubau eines naturhistorischen Museums (für Zoologie, Geologie und Mineralogie) in der Nähe des Bahnhofs zwischen dem Gebäude der Anatomie und der Veterinärmedizin wurde 1873 in Angriff genommen. 1877 konnten die einschlägigen Sammlungen in das neue Gebäude verlegt werden. Klein wurde mit seiner Berufung zweiter Direktor der mineralogisch-paläontologischen Sammlung. Ab 1881 verselbständigten sich ihre beiden Abteilungen und führten seit 1884 die Namen Mineralogisch Petrographisches Institut und Geologisch Paläontologisches Institut. In diesen Jahren war der bekannte Petrograph Friedrich Rinne bei Klein als Assistent tätig.

Als Klein 1887 nach Berlin ging, wurde Theodor Liebisch (1852-1922) auf den Gttinger Lehrstuhl berufen, nachdem H. Rosenbusch aus Heidelberg nicht zu gewinnen gewesen war. Seine Arbeitsrichtung glich der von Klein. Im Jahr 1891 publizierte Liebisch eine ÑPhysikalische Krystallographie". Die Entwicklung der Mineralogie wird durch den Titel von Liebischs Antrittsrede als Prorektor der Universitt charakterisiert: Die Synthese der Minerale und Gesteine.

Liebisch ging 1908 wie sein Vorgänger nach Berlin. Nachfolger in Amt und Arbeitsrichtung war Otto Mügge, der wie Liebisch aus Königsberg kam. Mügge untersuchte vor allem die Auswirkungen der mechanischen Deformation von Kristallen. Später kompilierte er die Daten über die optischen Eigenschaften der gesteinskundlich wichtigen Minerale. In den Dekaden um die Jahrhundertwende hatte sich das Mikroskop mit Polarisationseinrichtung zum wichtigsten diagnostischen Instrument der Gesteinskundler entwickelt. Mügge gab mit Wülfing die letzte Auflage des Standardwerkes der optischen Mineralbestimmung seines Lehrers Rosenbusch heraus. Als Mügges bekanntester Schüler der Gttinger Zeit hat Paul Ramdohr dem systematischen Studium der Erzminerale und ihrer Verwachsungen mit dem Reflexions-Mikroskop zum Durchbruch verholfen.

Nach Mügges Emeritierung entschloß sich die Göttinger Fakultät zu einer bemerkenswerten Innovation der Mineralogie. Sie berief 1928 aus Oslo Viktor Moritz Goldschmidt (geb. 1888 in Zürich). Dieser hatte mit neuartigen Untersuchungen der natürlichen Verteilung der chemischen Elemente begonnen und den Zusammenhang zwischen Kristallbau und Ionengröße erkannt. Max von Laues Entdeckung der Interferenzen von Röntgenstrahlen an den im Kristall geometrisch geordneten Ionen und Atomen hatte den Weg zum Studium der räumlichen Anordnung dieser elementaren Kristallbausteine gewiesen. Da 1929 durch den Neubau der Oberrealschule in der Böttinger Straße deren altes Gebäude an der Ecke zur Lotzestrafe verfügbar wurde, konnte Goldschmidt dort ein leistungsfähiges experimentelles Institut aufbauen. Hier untersuchte er in dem kurzen Zeitabschnitt von weniger als sechs Jahren die Stoffkreisläufe von mehr als 25 seltenen Elementen durch Analyse von Mineralen, Gesteinen, Meteoriten und biologischen Substanzen. Für die meisten dieser Elemente mußten zunächst spektralanalytische Methoden zur Konzentrationsbestimmung bis zu weniger als einem Tausendstel Prozent entwickelt werden. Goldschmidt konnte mit seinem Einfallsreichtum und tragfähigen Konzepten zahlreiche Mitarbeiter und ausländische Gäste zu seinem großen analytischen Programm motivieren. So wurden die bisher für chemische Hauptkomponenten gefundenen kristallchemischen Gesetzmäßigkeiten durch die natürliche Verteilung von seltenen Elementen wie Scandium, Beryllium, Germanium, Lanthan usw. bestätigt. Goldschmidt erklärte die Verteilung der chemischen Elemente auf die großen Baueinheiten unseres Planeten durch deren spezifische Affinität zu meteoritischem Eisen und Eisensulfid und zu irdisch häufigen Silikaten bzw. deren Schmelzen. Mit den neuartigen Untersuchungen zum Stoffbestand und Stoffwechsel der Erde wurde die moderne Geochemie begründet. Die politische Konstellation in Deutschland hat diese Entwicklungen abrupt beendet. Im September 1935 entschlofß sich Goldschmidt, Göttingen zu verlassen und nach Oslo zurückzukehren. Nach der deutschen Besetzung konnte er der Deportation nur durch Flucht nach Schweden und England entgehen, zu der ihm Freunde verhalfen.

Nach Goldschmidts Fortgang wurde der Lehrstuhl für Mineralogie und Petrographie bis zum zweiten Kriegsjahr durch Friedrich Karl Drescher Kaden besetzt, der sich mit Problemen der Gesteinsmetamorphose befaßte. Anläßlich ihres Jubiläums zum 200. Jahr des Bestehens entschloß sich die Universität, ein Ordinariat für Sedimentpetrographie einzurichten. Diese Arbeitsrichtung, die sich vor allem mit Stoffbestand und Bildung der Ablagerungen der Meere befaßt, bedurfte besonderer Förderung. Auf diesen Lehrstuhl wurde Carl W. Correns (geb. 1893 in Tübingen) aus Rostock berufen, der mit seinen Mitarbeitern einen systematischen Überblick über die Sedimente des äquatorialen Atlantik an Material der "Meteor"-Expedition erarbeitet hatte. Die feinkörnige Mineralsubstanz der Tone ließ sich nur mittels der spezifischen Interferenzen von Röntgenstrahlen identifizieren. Damit wurde auch in dieser häufigen Gesteinsgruppe der Mineralbestand erschlossen. Neben den Prozessen der Sedimentation und der chemisch biogenen Flälungen mußten die Bedingungen geringer Stoffumlagerung von CaCO3, SiO2 u.a. mittels Porenlösung aufgeklärt werden, unter denen sich die Sedimente verfestigen .

Das neugeschaffene Institut für Sedimentpetrographie wurde in einem ehemaligen Verbindungshaus in der Lotzestrafe untergebracht. Zu Beginn seiner Göttinger Tätigkeit erschien das von Correns mit T. Barth (Magmatite) und P. Eskola (Metamorphite) herausgegebene grundlegende, richtungsweisende und in seiner Originalität unerreichte Buch über "Die Entstehung der Gesteine". Nach dem Fortgang von Drescher Kaden übernahm Correns 1942 auch Lehrstuhl und Leitung des Instituts für Mineralogie und Petrographie, aus dem 1949 ein Kristallographisches Institut ausgegliedert wurde. Experimente zur Mineralverwitterung, geochemische Untersuchungen zur natürlichen Verteilung mehrerer seltener Elemente, die Herausgabe eines Lehrbuchs der Mineralogie und maßgebende redaktionelle Tätigkeiten in internationalen Zeitschriften charakterisieren Correns' breit angelegte Aktivitäten, die weit über seine Emeritierung (1961) hinausreichten.

Die Nachfolge von Correns als Direktor des Mineralogisch Petrographischen Instituts trat sein Schüler Helmut G.E Winkler (geb. 1915 in Kiel) mit einer wiederum neuen Arbeitsrichtung an. Er hatte sich in seinen frühen Arbeiten mit Sedimenten und mit der Erklärung kristallphysikalischer Eigenschaften beschäftigt. Um 1955 waren geeignete Werkstoffe und Instrumente verfügbar, um die Bedingungen der Metamorphose der Gesteine und der magmatischen Schmelzbildung in der tieferen Erdkruste durch Laborsynthese zu erkunden. Winkler hat dabei den bisher in der experimentellen Petrologie üblichen Weg erfolgreich übersprungen, das Verständnis stufenweise von einfachen zu komplexeren Modell-Systemen aufzubauen. Heute ist die Verwendung natürlicher Ausgangsmaterialien für Mineralreaktionen bei höheren Temperaturen und Drucken eine gängige Methode. Die aus vielen Labors eintreffenden Informationen über die Stabilitätsbereiche von Mineralen und deren Assoziationen in der Erdkruste ordnete Winkler nach Temperatur-Druck-Bereichen und nach Ausgangsmaterialien. Er veröffentlichte diesen Überblick 1965 unter dem Titel "Genese der metamorphen Gesteine". Ein Jahr vor seinem Tod (1980) erschien die 5. Auflage des Buches.

Das 1949 eingerichtete Mineralogisch Kristallographische Institut wurde in wesentlichen Teilen durch Josef Zemann (1953-1967) aufgebaut, der zahlreihe komplizierte Mineralstrukturen mit neuen instrumentellen und rechnerischen Methoden aufklärte. 1964 ist das Geochemische Institut gegründet worden, und 1971 konnten die vier mineralogischen Institute in ein neues geräumiges und zweckmäßiges Gebäude in der Nachbarschaft der chemischen Institute im Ortsteil Weende umziehen. Nach 45 Jahren Trennung kam jetzt auch die Geologie wieder in die Nähe der Mineralogie.

Professor Dr. rer. nat. Karl Hans WedepohI